In meinem ersten Artikel hatte ich schon eine groben Überblick darüber gegeben, was die Gewaltfreie Kommunikation ist und warum ich dieses Modell so großartig finde. Heute möchte ich gerne über die zugrunde liegenden Annahmen schreiben. Allein diese Sicht auf die Menschen hilft schon, in eine verständnisvolle, emphatische Haltung zu kommen und ist daher eine wunderbare Grundlage, um die GfK erfolgreich anzuwenden.
Die Haltung macht´s
Jetzt wo ich das gerade schreibe, merke ich, dass diese Haltung mich total ins Herz bringt. Weg aus dem Verstand, der Menschen oder deren Verhalten gerne be- und verurteilt. Unser Gehirn ist nämlich unter anderem dafür gemacht, Situationen zu bewerten, mit Erinnerungen abzugleichen und dann entsprechend zu verknüpfen. Das ist effizient (da gelerntes Verhalten schnell abgerufen werden kann und nicht neu entwickelt werden muss) aber nicht besonders lebendig. [Mehr dazu später] In der GfK geht es aber darum wahrzunehmen, was gerade lebendig ist. Und zwar jeden Moment aufs Neue. Denn wenn ich mit dem, was der andere gerade erlebt, in den Kontakt trete und Raum gebe, dann kann das dazu führen, dass sich das Empfinden spontan verändert. Wenn ich in meinem Herzen bin, dann bin ich offen für diese Veränderung.
Jetzt aber zu den Grundannahmen 🙂
- Wir gehen in der GfK davon aus, dass Menschen gerne zum Wohlergehen ihrer Mitmenschen beitragen, wenn sie im Kontakt mit ihren eigenen Bedürfnissen sind und diese ebenfalls beachtet werden.
- Jede Handlung dient der Erfüllung von Bedürfnissen.
- Alle Bedürfnisse sind gleichwertig.
- Wir unterscheiden zwischen Bedürfnis und der Strategie, dieses zu erfüllen. Wir haben alle die gleichen Bedürfnisse, aber unterschiedliche Strategien entwickelt, sie uns zu erfüllen.
- Gefühle sind Ausdruck unserer Bedürfnisse und zeigen an, ob sie erfüllt oder nicht erfüllt sind. Demnach ist jeder Mensch verantwortlich für seine Gefühle.
Klarheit und Bewusstheit in der Sprache steigern die Wahrscheinlichkeit, dass wir bekommen, wonach wir suchen
Ein entscheidender Unterschied, der durch diese Grundannahmen passiert ist, das wir wegkommen von Schuldzuweisungen und Verurteilungen („Du hast schon wieder nicht aufgeräumt.“) hin zu Mitgefühl und Verständnis („Das macht dich gerade ziemlich ärgerlich, oder?“). Verteidigung und Kampf („Immer mäkelst du an mir rum.“) können so aufhören. Zermürbende Diskussionen, die meist auf der Ebene der Strategie stattfinden („Immer muss ich alles alleine machen.“), fallen weg. Stattdessen bekommt jeder den Raum für das, was gerade lebendig ist („Ich bin erschöpft und brauche gerade Unterstützung“). Konkrete Bitten („Kannst du bitte heute aufräumen?“) helfen, das Gespräch in Richtung Lösung zu bewegen. Die Offenheit der Bitte lässt dabei zu, dass der Gesprächspartner sich frei entscheiden kann („Ich kann das gerne machen, heute schaffe ich es aber nicht mehr, weil ich gerade selbst ganz kaputt bin. Ist es in Ordnung für dich, wenn ich das morgen mache?“).
"Wir entdecken das Potential unseres Einfühlungsvermögens, wenn wir uns auf die Klärung von Beobachtung, Gefühl und Bedürfnis konzentrieren, statt zu diagnostizieren und zu beurteilen."
- Marshall Rosenberg -
Die Gewaltfreie Kommunikation ist nicht nur ein Sprachmodell. Es ist eine Haltung, die dahintersteht und die durch die regelmäßige Anwendung geschult wird. Das friedliche und emphatische Miteinander wird gestärkt, Bewertungen und Verurteilungen fallen weg oder zumindest auf. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass das zu einem sehr angenehmen Miteinander führt. Wenn GfKler aufeinander treffen, zum Beispiel bei einem Übungsabend, kommt eine besondere Stimmung auf. Es ist lebendig. Man traut sich da zu sein, mit dem was ist, weil man ja weiß, dass man dafür nicht verurteilt wird. Alles darf da sein. Das „sich zeigen“ lässt Verbindung entstehen (wenn man das möchte), selbst bei Menschen, die man nicht kennt.
Das ist übrigens eins der ganz großen Geschenke, die ich durch die Gewaltfreie Kommunikation erlebe. Wenn ich mich auf einen Menschen ganz einlasse, weil ich einfühlsam zuhöre, wenn ich mich einlasse auf seine Welt, dann kann eine intensive Verbindung von Herz zu Herz stattfinden, sofern mein Gegenüber das zulassen möchte. Aber dazu schreibe ich dann noch mal mehr, wenn es um das einfühlsame Zuhören geht 🙂
Was denkst Du über diese Grundannahmen? Undwie fühlt es sich für Dich an, wenn Du das liest?