Steh zu Deinem Gefühl!
Bist du auch ein „Sensibelchen“? Gehörst Du zu den Menschen mit den feinen Antennen? Bekommst du viel mit von dem, was um dich herum passiert? Bist du schnell angestrengt, wenn du von vielen Menschen umgeben bist? Dann gehörst du sicherlich auch zu den feinfühlig-empathischen Menschen dieser Welt. Und dann kommen dir die folgenden Sätze wahrscheinich auch bekannt vor.
So viele Male habe ich Sätze gehört wie
- Du bist immer so empfindlich
- Stell dich nicht so an
- Du wieder (Augenrollen)
- Sei doch nicht so sensibel
- Mach es doch nicht so kompliziert
- Du bist anstrengend
- Und so weiter…
Viele Jahre habe ich es geglaubt. Es war ja auch viel bei mir. Ich hatte einige Stolpersteine zu überwinden in der Vergangenheit und hatte lange daran zu knabbern, die entstandenen Wunden heilen zu lassen. Ich habe all das reflektiert und war mir von daher sehr bewusst, womit ich so zu tun habe. Ich war häufiger traurig, leicht verletzbar, konnte nicht so gut mit mir und meinen Gefühlen umgehen. Meine Emotionen haben mich meist überrollt. Einmal ausgelöst waren sie da, manchmal wie eine Sintflut, manchmal ein stetes Rinnsal. Mit diesem Background war es natürlich naheliegend, dass man mich als anstrengend und sensibel empfindet, dachte ich. Ich habe mir den Schuh also bereitwillig angezogen, auch wenn dabei schon immer ein Teil in mir rebelliert hat. Aber mir fehlte einfach das Standing, sowohl innerlich als auch äußerlich, um für mich einzustehen. Auf die Idee, dass ich vielleicht intensiver empfinde als andere Menschen und dass auch das Verhalten meines Umfeld einen Teil dazu beiträgt, was ich erlebe, kam ich nicht.
Dann habe ich die Gewaltfreie Kommunikation kennengelernt. Ein wesentlicher Bestandteil ist hier die Empathie. Das Ganze ist schon über zehn Jahre her. Damals war das Thema Hochsensibilität noch nicht so in den Medien verbreitet. Im Rahmen der vielen Übungsabende hat sich ganz deutlich etwas für mich gezeigt: Nicht alles, was ich fühle ist meins. In dem Moment, in dem jemand in der Gruppe seine eigenen Gefühle nicht wahrgenommen hat (wir sind häufig Meister darin, unsere Gefühle abzuspalten), stehen sie sozusagen im Raum. Und dann fühle ich sie. Auch andere Teilnehmer haben das so erlebt. Hatte die Person, zu der diese Gefühle gehörten, den Kontakt zu sich hergestellt und sie selbst wahrgenommen, sind sie bei mir verschwunden. Ich konnte sie zwar noch wahrnehmen, aber es fühlte sich nicht mehr an, als wären es meine Gefühle.
Endlich Klarheit
Was für eine Befreiung! Ich erinnere mich noch sehr genau an den Moment, als ich wirklich begriffen habe, dass ich Dinge fühle, die nicht zu mir gehören. Mir ist wirklich ein Stein vom Herzen gefallen. Ich war gar nicht so „schlimm“, wie ich immer dachte. Ein Großteil dessen, was ich gefühlt habe war das, was ich in meiner Umwelt gespürt habe. Das war der erste Schritt in ein neues Selbstbewusstsein und vor allem in eine neue Klarheit. Es hat mir die Freiheit gegeben, hinterfragen und mich distanzieren zu können. Ich habe gelernt, bewusst wahrzunehmen, was los ist. Und vor allem habe ich die Differenzen gespürt und als solche entlarvt. Mit Differenzen meine ich, eine Sache zu hören und eine ganz andere zu fühlen. Etwas, was ich auch schon von Kindheit an kenne, was mich aber dazu gebracht hat, an mir selbst zu zweifeln.
Vielleicht kennst du das ja, dass du ansprichst, wenn du etwas beim anderen spürst oder bemerkst, dass eine Aussage einfach nicht stimmig ist. Du fragst z.B. Deinen Partner, ob alles okay ist, er sagt ja, du spürst aber, dass doch etwas ist. Wenn du das dann thematisierst, wird er vermutlich genervt reagieren und beteuern, dass alles in Ordnung ist. Das was du da spürst, will er nicht hören. Oder das kann er nicht hören. Denn häufig wird nicht bewusst gelogen, sondern die andere Person nimmt tatsächlich selbst nicht wahr, was sie eigentlich fühlt.
In solchen Momenten habe ich früher den Anderen geglaubt. Heute vertraue ich meiner Wahrnehmung. Ich muss sie deswegen nicht immer aussprechen, denn das bringt nur was, wenn der andere bereit ist, hinzuspüren. Aber ich bleibe zumindest mit mir im Kontakt und verliere meine Wahrheit nicht.
Trotzdem gab es natürlich noch Emotionen, die zu mir gehörten und die habe ich auch weiterhin häufig sehr intensiv erlebt. Was von außen vielleicht ausgesehen haben mag, als wenn ich „ein Drama mache“, habe ich innerlich eben genauso erlebt. Ich habe einfach keinen Filter gehabt, keine Möglichkeit, Gefühle abzuschwächen. Es war mir auch nicht möglich, sie zu unterdrücken (was auch nicht unbedingt in meinem Sinne war, denn ich bin ja froh gewesen, dass ich wieder einen Zugang zu mir gefunden und gelernt hatte, mich mitzuteilen). Und dann kam so ein Gefühlsausbruch schon mal in einer Heftigkeit, mit der man bei mir ansonsten vielleicht nicht so rechnet. Aber eben nicht, weil ich „ein Drama daraus gemacht“ habe, sondern, weil ich es wirklich so dramatisch erlebt habe. An der Intensität, mit der ich Gefühle spüre, hat sich bis heute nichts geändert. Was sich aber verändert hat ist, wie ich damit umgehen kann.
Umgang mit schwierigen Gefühlen
Zwei Dinge gab es, die ich zu lernen hatte. Zum einen war das die Fähigkeit, mich mit diesen Emotionen zu halten. Ich habe diesen Halt daher im Außen gesucht und wenn ich ihn dort nicht gefunden hatte, dann habe ich diese starken Emotionen eben ausgelebt – allerdings in der oben beschriebenen Intensität.
Zum Glück durfte ich lernen, dass ich diese Emotionen in mir auch selbst halten kann, dass ich für diesen emotionalen Teil in mir so da sein kann, wie ich auch für andere Menschen da sein kann. Im Nachhinein ist das nur eine kleine Sache, aber für mein Leben war das einer der entscheidendsten Schritte, die ich gemacht habe. Raus aus der Bedürftigkeit – hinein in meine Kraft.
Zum anderen war es die Fähigkeit, bewusst positive Gefühle zu nutzen, um mich selbst wieder in ein emotionales Gleichgewicht zu bringen. Unangenehme Gefühle lösen Stress aus, wodurch Bereiche im Gehirn aktiviert werden, die noch emotionaler werden lassen. Eine Abwärtsspirale – vor allem, wenn man chronisch Stress, ob im klassischen Sinne oder emotional – ausgesetzt ist. Dieses Muster kann aber durchbrochen werden, wenn man positive Gefühle fühlt. Dadurch wird der Parasympatikus aktiviert und Antistresshormone werden ausgeschüttet. Körper und Seele können sich entpannen. Wenn Du das lernen möchtest, komm gerne in ein Coaching bei mir.
Dieses ungehalten Sein ist natürlich anstrengend gewesen. Und war auch nicht besonders überzeugend, um mich für das Erleben von Gefühlen auszusprechen. Aber mit der Fähigkeit, mit meinen Emotionen umgehen zu können, ist im Laufe der Jahre eine Haltung in Bezug auf das Thema Fühlen in mir entstanden, die ich gerne teilen möchte.
Gefühle sind ein Ausdruck unseres Seins
Unsere Fähigkeit zu fühlen ist für mich ein riesen Geschenk. Es macht diese Welt und das Leben farbenfroh und vielfältig. Gefühle sind etwas so schönes, kostbares. Auch die Unangenehmen, wenn man nicht darin versinkt, sondern wenn sie einen angemessenen Rahmen haben. Und letztendlich zeigen sie uns, ob unsere Bedürfnisse, also das, was ganz tief in uns steckt, erfüllt ist oder nicht. Gefühle sind ein Ausdruck unseres Seins und jeder ist in seinem Ausdruck einzigartig. Wenn man sich über die Gefühle mit jemandem verbindet, also in die Gefühlswelt des anderen eintaucht, bekommt man die Gelegenheit sich ganz nah zu sein. Das sind Momente, die ich sehr berührend finde. Es hat etwas davon, die Essenz des anderen zu begreifen. Etwas, was mit Worten nur begrenzt geht.
Der ein oder andere wird sich sicherlich in den anfangs genannten Sätze wiedererkennen. Ich habe neulich gelesen, dass etwa 15% hochsensibel sein sollen. Und wer weiß, vielleicht sind unter den weniger Sensiblen ja auch viele, die es wären, wenn sie sich nicht so sehr von ihrem Erleben abgeschnitten hätten.
Mir ist es ein Anliegen, dass Menschen sich wieder miteinander verbinden.
Dafür ist es wichtig, dass unterschiedliche Wahrnehmungen respektiert werden. Es braucht also Verständnis für die andere Seite. Seit ich weniger um mein „Recht“ kämpfen muss, weil ich nicht mehr an meiner Wahrnehmung zweifele, fällt es mir leichter, Verständnis für die Menschen aufzubringen, die nicht spüren, was ich spüre. Ich mag mich nicht darüber stellen, im Sinne von, ich bin toller, besser, sensibler usw. als du. Ich mag mich aber auch nicht mehr verurteilen lassen, weil ich so bin, wie ich bin. Von daher möchte ich mal mit diesen genannten Verurteilungen aufräumen. Es wäre schön, wenn beide Seiten etwas anerkennen:
Du und ich – wir sind anders.
Hier ein paar Entkräftigungen für Anti-Vielfühler-Phrasen:
„Du bist immer so empfindlich.“
Ich nenne es lieber empfindsam, das klingt weniger wie ein Fehler. Und vielleicht hörst Du so besser, worum es eigentlich geht. Ich empfinde intensiv. Das mag sein, dass dir das manchmal zu viel ist. Mir ehrlich gesagt auch, denn ich kann es nicht unbedingt regulieren. Ich bin halt Vielfühler. Aber darin steckt auch ein Geschenk. Ich reagiere intensiv auf alle Reize. Auch die Schönen. Und so kann man mit mir sehr intensive Momente erleben. Ich bekomme mit, wenn es dir schlecht geht, auch wenn du nicht darüber redest. Außerdem weißt du bei mir immer, woran du bist. Ich halte nichts zurück. Wenn ich schlecht drauf bin, dann sieht man das. Aber wenn ich glücklich bin auch. Mein Strahlen kann auch dich zum Strahlen bringen.
„Stell dich nicht so an“
Es ist kein „mich anstellen“. Ich bemerke halt, was in mir los ist. Und wie schon beschrieben, fühle ich wirklich intensiv. So, dass es mich manchmal selbst an meine Grenzen bringt. Wenn ich emotional aufgewühlt bin, brauche ich vor allem Klarheit, damit sich die Wogen wieder glätten. Mir hilft es dann, die Dinge anzusprechen. Wenn ich also sage, dass etwas für mich nicht geht, dass mich etwas verletzt oder mir nicht gut tut, dann tue ich das, weil ich merke, dass es wichtig für mein Wohlergehen ist, jetzt für mich zu sorgen.
Verurteile es bitte nicht, bloß weil du meine Grenze nicht verstehen kannst. Und vielleicht gibt es ja sogar einen Teil in dir, der sich wünscht, dass du selbst auch so gut auf dich achtgeben würdest. Manchmal ertragen wir an den anderen nicht, was wir uns selbst nicht zugestehen.
Sieh es doch mal so – du kannst froh sein, dass ich für mich sorge. Würde ich es nicht machen und permanent über meine Grenzen gehen, dann würde ich mich bald zurückziehen müssen.
„Du wieder (Augenrollen)“
Ja, ich wieder. Auch wenn wir die selbe Situation das 1000ste mal erleben. Ich werde mich nicht mit etwas zufrieden geben, was sich für mich nicht richtig anfühlt. Und ich werde es immer wieder zum Ausdruck bringen. Für dich mag es albern sein, pingelig, kleinlich, nervig oder was auch immer. Für mich hat es mit Authentizität zu tun. Und ich wünsche mir, damit respektiert zu werden, so wie ich respektiere, dass du deinen eigenen Umgang mit den Dingen hast.
„Sei doch nicht so sensibel“
Ich bevorzuge die Bezeichnung empathisch, mitfühlend. Das ist eine Eigenschaft, die ich nicht ablegen kann. Teilweise angeboren, teilweise erlernt, nehme ich meine Umwelt emotional wahr. Manchmal wünschte ich, weniger zu spüren. Mir wird es manchmal auch zu viel. Aber die meiste Zeit bin ich dankbar für dieses Geschenk. Denn es sind sensible Menschen wie ich, die sich dafür einsetzen, dass diese Welt zu einem besseren Ort wird. Es braucht Menschen, die den Schmerz anderer Menschen spüren, wenn sie selbst den Zugang dazu verloren haben. Es sind die Empathen, die sich dafür einsetzen, dass wir liebevoller miteinander sind, weil sie nichts anderes ertragen können.
„Mach es doch nicht so kompliziert“
Was du als kompliziert empfindest ist meine Genauigkeit. Ich spüre genau hin, bemerke, ob etwas stimmig ist oder nicht. Es ist mir wichtig, Klarheit zu bekommen. Ich bin daran interessiert, dir wahrhaftig begegnen zu können. Und das geht nicht, wenn solche Unstimmigkeiten zwischen uns stehen. Die Klarheit, die so entsteht, macht für mich eine unglaubliche Leichtigkeit. Für mich ist das überhaupt nicht kompliziert. Kompliziert finde ich es, nicht offen und ehrlich ansprechen zu können, was los ist. Wenn man das nämlich tut, sind die Dinge meist mit wenigen Sätzen geklärt. Voll einfach!
„Du bist anstrengend“
Formulieren wir es mal so: Dich strengt meine Art zu Sein an. Das kann ich so stehen lassen. Ist nicht jedermanns Sache, so genau hinzugucken, sich mit Gefühlen zu beschäftigen oder so achtsam sein. Wenn man das nicht gewohnt ist und auch selbst keinen inneren Antrieb dazu hat, weil man es nicht braucht, dann kann ich mir schon vorstellen kann, dass das als anstrengend erlebt wird. Aber umgekehrt ist das genauso anstrengend für mich. Selbst mit 10 verschiedenen Varianten es nicht zu schaffen, mich so auszudrücken, dass du verstehst, worum es mir geht, ist extrem anstrengend! Für meine Art der Wahrnehmung keine offenen Ohren oder Verständnis zu bekommen ist anstrengend! Mit Unachtsamkeit und (ungewollten) Verletzungen zu tun zu haben ist anstrengend!
Du und ich, wir sind einfach anders. Vielleicht können wir es dabei belassen und uns gegenseitig in unserer Andersartigkeit respektieren?
Empathie = Vielfühlerei?
Für mich steht das empathische Sein und das intensive Fühlen in direkter Verbindung. Mich interessiert, ob das bei anderen empathischen Menschen auch so ist oder ob bei mir nur zwei Dinge zusammengekommen sind. Also, wenn du dich als sehr empathisch erlebst, dann freue ich mich auf eine Antwort auf diese Frage, gerne auch per Mail.
Alles Liebe,
Bela ❤️