Sei für dich da!
In diesem Artikel geht es darum, wie Du besser für Dich sorgen kannst. Zum Beispiel in schwierigen Situationen, wenn Du Ärger in Beziehungen hast, Probleme bei der Arbeit etc. Situationen, die emotional etwas mit Dir machen oder die Gedankenkreisen und Grübeln in Dir auslösen. All das sind Anzeichen dafür, dass Du mit etwas gerade nicht gut umgehen kannst. Anstatt das Ganze zu verdrängen, ist hier jetzt aktiv werden gefragt.
Was ist Selbstempathie?
Als Empathie bezeichnet man die Fähigkeit, die Gefühlswelt eines anderen Menschen sowohl kognitiv als auch emotional nachempfinden zu können. Selbstempathie ist dementsprechend die Fähigkeit, die eigene Gefühlswelt wahrzunehmen, verstehen und benennen zu können.
Klingt erst mal selbstverständlich. Aber schaut man etwas genauer hin, fällt es vielen Menschen wirklich schwer, sich so genau mit ihren Gefühlen zu beschäftigen. Die Schwierigkeiten können darin bestehen, die Gefühle differenziert benennen zu können oder aber auch, die Gefühle überhaupt zu fühlen. Und wenn sie gefühlt werden, besteht die Angst, sie könnten zu intensiv werden und außer Kontrolle geraten. Das Wahrnehmen ist für Menschen, die ihre Gefühle viel unterdrücken, mitunter richtig anstrengend. Dabei gehören Gefühle doch zu unserm natürlichen Menschsein dazu.
Hast du gelernt, mit Gefühlen umzugehen?
Wir bekommen als Kind das Lesen und Schreiben gelehrt, lernen Geschichtszahlen auswendig, lernen zu rechnen, Naturwissenschaften und so weiter. Der Geist wird gefordert und gefördert. Aber wir lernen nicht, unsere Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Wir lernen nicht, dass es neben gut und schlecht noch viele Grautöne gibt. Wir erfahren zwar Freude, Erfolg/Misserfolg, Scham, Schuld, Traurigkeit, aber wir bekommen nicht gezeigt, wie wir damit umgehen können. Und noch weniger bekommen wir die Zusammenhänge zwischen unseren Gefühlen und den dahinter stehenden Bedürfnissen aufgezeigt. Und so sehen wir zu, dass die unangenehmen Gefühle möglichst wenig Raum im eigenen Leben bekommen.
Das geschieht dadurch, dass man sich ablenkt oder sie unterdrückt werden. Wer das schon in früher Kindheit lernt ist ein Meister darin. Und so fährt man durchs eigene Leben wie ein Schiff auf einem Kanal. Man kommt gut voran, es gibt keine großen Probleme, wenig Unvorhersehbares passiert. Allerdings ist es auf Dauer auch etwas öde (Was man vielleicht nicht direkt merkt, weil Hamsterrad, Konsum, Alkohol, Internet usw. das verhindern). Denn es fehlen die Highlights. Das echte Leben ist nicht wie ein Kanal. Das echte Leben ist wie ein wildes Meer. Es gibt Ebbe, Flut, Stürme, Brandung, natürlich auch mal eine ruhige See. Unter der Oberfläche tobt ein Leben in unglaublicher Vielfalt. Es gibt so viel zu entdecken! Es ist aufregend, fordernd und sehr erfüllend, all diese Vielfalt zu erleben.
In dem Glauben, auf einem Kanal unterwegs zu sein, könnte man meinen, man benötigt keine Navigation. Doch wie gesagt, das Leben ist kein Kanal. Ob man das so fühlen mag oder nicht. Das Leben ist ein wildes Meer. Und dort braucht man ein Gespür für die Dinge, die auf einen zukommen können. Man kann noch so seichte Gewässer wählen – es kann immer ein unerwarteter Sturm oder eine unterschwellige Strömung auftreten. Um diese wahrzunehmen (falls ich hier zu bildlich geworden bin, in diesem Bild stehen sie zum Beispiel für Bedürfnisse oder auch unerwartete Ereignisse) und zu wissen, was in so einem Moment zu tun ist, ist es wichtig, einen guten Kontakt zu sich, seinem Innenleben zu haben. Sonst kann man schnell mal kentern.
Dazu kommt, dass einem Boot, das immer nur auf seichten Gewässern oder auf einem Kanal unterwegs ist, keine Übung darin hat, im Sturm oder bei starker Strömung klarzukommen. Es fehlt die Erfahrung und das Handwerkszeug. Und das, um jetzt mal wieder dieses schöne Bild zu verlassen, ist das genau das, was Selbstempathie und die Zuwendung zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen schafft.
Tatsächlich wendet man sich doch den eigenen Gefühlen meist erst so richtig zu, wenn sie unangenehm werden. Und zwar so unangenehm, dass es nicht mehr geht, sie zu ignorieren. Zunächst gibt es noch ein paar Möglichkeiten, sie zu unterdrücken, sich abzulenken, mit Alkohol oder anderen Dingen zu betäuben. Aber irgendwann werden sie laut oder der Mensch krank. Bis es so weit ist, ist meistens schon einiges im Argen. Dementsprechend wird es viel schwieriger, bzw. unschöner, sich dem ganzen zuzuwenden.
Verschiedene Abstufungen der Selbst-/Empathie
Empathie und Selbstempathie sind nicht nur „ganz oder gar nicht“ erlebbar. Es gibt hier natürlich Abstufungen. Aber wenn ich mal grob einteile, dann finde ich diese 3 Varianten:
- Überhaupt nicht oder sehr wenig emapthisch (=kein/geringer Zugang zu den eigenen Gefühlen)
- Viel zu empathisch, Schwierigkeiten sich abzugrenzen (=Fühlt intensiv, fremdes und eigenes vermischt sich, fehlende Klarheit über die eigenen Gefühle/den eigenen Schmerz, Gefühl der Überwältigung)
- Gesund empathisch: nimmt Umwelt wahr, kann aber das eigene Erleben vom äußeren weitestgehend unterscheiden (=Klarheit darüber „was ist mein was ist deins“, mit seinen Gefühlen im Reinen, kann gut für sich sorgen)
Das Maß oder das Erleben von Empathie lässt dabei Rückschluss auf die Selbstempathie zu, denn diese hängen sehr dicht zusammen. Empathie funktioniert nur so weit, wie man Klarheit über das eigene Gefühlserleben hat, sprich zu wie viel Selbstempathie man in der Lage ist. Mit Selbstempathie ist hier nicht nur gemeint, die eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, sondern auch für sie zu sorgen und sie zu halten. Dafür ist erforderlich, sich seinen Schmerzpunkten zu stellen und damit umzugehen. Der eigene unerlöste Schmerz kann einen sonst überwältigen, wenn er im Außen getriggert wird. Genau das ist auch der Grund, warum viele Menschen in so einem Moment unempathisch reagieren. In „Mit Empathie arbeiten – gewaltfrei kommunizieren“ wird das Modell des empathischen Kurzschluss beschrieben. Um den eigenen Schmerz zu umgehen, wird in so einem Moment einfach das Gefühl des anderen „übersprungen“ oder relativiert, die eigene emotionale Stabilität dadurch gesichert.
Während die gesunde oder guttuende Form der Empathie für andere Menschen bedeutet, Anteil zu nehmen ohne mitzuleiden, könnte man es bei der Selbstempathie so ausdrücken, dass es wichtig ist, Anteil an den eigenen Gefühlen zu nehmen, ohne darin unterzugehen oder sich davon überrollen zu lassen. Es bedeutet, für sich selbst in so einem Moment da zu sein und für sich zu sorgen. Das ist es, was man lernt, wenn man sich mit dem inneren Kind bechäftigt, was unglaublich heilsam ist.
Wie genau hilft Selbstempathie?
Noch mal zusammengefasst bedeutet das Erlernen und Üben von Selbstempathie, sich regelmäßig den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zuzuwenden, sich selbst zu verstehen und besonders in emotional schwierigen Momenten dranzubleiben und Verständnis aufzubringen, anstatt die Gefühle zu unterdrücken oder sich abzulenken. Letzteres sorgt langfristig dafür, dass immer mehr innere Stabilität erlebt wird, denn die Trigger von außen werden mit jedem Prozess weniger. Die Erfahrung, sich so halten zu können, sorgt zusätzlich dafür, weniger Angst vor solchen Momenten zu haben und so ist es möglich, sich Schritt für Schritt der eigenen und auch anderen Gefühlswelten zu öffnen und diese Gefühle da sein lassen zu können. So gelingt es, im Moment präsent zu bleiben. Es besteht die Möglichkeit, sich zu entscheiden, anders zu reagieren, als man es vielleicht bisher gewohnt ist. Auch wenn das nicht gleich beim ersten Mal gelingt, hilft die neu gewonnene Achtsamkeit und Bewusstheit, diese Situationen zu erkennen und mit etwas Übung immer besser zu meistern.
Veränderungen im Gehirn
Das achtsame und empathische sich den eigenen Schmerzpunkten Zuwenden trainiert, in solchen Momenten in den höheren Gehirnregionen präsent zu bleiben, anstatt im Stress in die Emotionalität (das Limbische System) abzurutschen. Gleichzeitig wird eine neue Erfahrung gemacht (das „sich mit dem Gefühl halten können“), so dass der alte Schmerz an Intensität verliert. Die Gehirnstrukturen verändern sich langfristig dadurch und das verändert wiederum das zukünftige Erleben.
Positive Auswirkungen auf den Körper
Unverarbeiteter Schmerz und unterdrückte Gefühle lösen Stress im Körper aus. Positive Gefühle dagegen sorgen dafür, dass das „Anti-Stress-Hormon“ DHEA ausgeschüttet wird. Diese intensiv zu fühlen hält gesund, jung und lebendig. Außerdem wird das Immunsystem und die Resilienz gestärkt. Letzteres sorgt dann für die Aufwärtsspirale, in der es immer besser gelingt, mit sich umzugehen.
7 gute Gründe für Selbstempathie
- Basis für Selbstfürsorge: Navigator für das eigene Leben und die Bedürfnisse
- Übung im Umgang mit den eigenen Gefühlen hilft, in extremeren Situationen darauf vorbereitet zu sein
- Notwendig für Emapthie für andere Menschen, besonders für Kinder (Hier ist ein ganz toller Artikel dazu)
- Förderlich in allen zwischenmenschlichen Belangen, besonders in sozialen Berufen, Konflikten, bei der Arbeit, in der Partnerschaft
- Stärkt die Resilienz, macht innerlich stark
- Auch die positiven Gefühle können viel intensiver gespürt werden. Ich hätte nie gedacht, zu was für intensiven Gefühlen und Wahrnehmungen ich in der Lage bin. Es gibt so unglaublich viel zu fühlen in dieser Welt. Total spannend!
- Beziehungen verbessern sich
Du kennst das vielleicht: Wenn man sich uneinige ist oder sich unverstanden fühlt, dann gibt schnell ein Wort das andere. Aus einer Kleinigkeit wird ein Streit oder eine nervige Situation, die Beteiligten sind außer sich oder beleidigt usw. Wer wahrnehmen kann, was in sich los ist und auch die Verantwortung für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse übernimmt, ist in so einem Moment in der Lage, ruhig zu bleiben. Man ist weniger emotional, ohne aber den Kontakt zu den eigenen Gefühle und Bedürfnissen zu verlieren. Und so kann man weiterhin das eigene Anliegen vertreten ohne ausfallend zu werden oder aber auch dem anderen Empathie geben. Das klappt natürlich nicht immer 100%ig. Aber es wird immer leichter.
Woran merkst du, dass dir Selbstempathievermögen fehlt?
- Dir fällt es schwer zu fühlen
- Dir fällt es schwer, deine Gefühle in Worte zu fassen
- Du weißt häufig nicht, was du brauchst
- Dich überfordern deine Gefühle wenn sie da sind
- Du weißt nicht, wie du mit deinen Gefühlen umgehen sollst, kannst sie nicht (aus)halten
- Du kritisierst dich oft oder schimpfst innerlich mit dir
- Gefühle machen dir Angst/strengen dich an
Selbstempathie ist ein intensiver Lernprozess
Wie gesagt, dass alles funktioniert nicht von heute auf morgen. Das einzige was wirklich hilft: üben. Es hat viel damit zu tun, seine eigenen Themen nach und nach zu befreien und das geht nur Step by Step.
- Geduld
- Verständnis
- Fürsorge
- Selbstliebe und
- Achtsamkeit
sind gefragt.
Vielleicht geht da bei manch einem schon die Scheuklappe runter. Vielleicht hast du Angst zu verweichlich. Da kann ich dich beruhigen. Natürlich spürt man Verletzungen von außen mehr, wenn man in so einem guten Kontakt mit sich ist. ABER auf der anderen Seite macht dieses (Selbst)bewusstsein unglaublich stark. Denn dadurch ist man ja nicht mehr angreifbar. Ich brauche keine Angst davor haben, dass jemand anderes mir meine „Schwächen“ aufzeigt oder darin rumstochert, wenn ich diese „Schwäche“ kenne und gelernt habe, mich damit zu halten. In Wirklichkeit ist man viel weniger emotional dadurch, dass man in so einem guten Kontakt mit seinen Gefühlen ist und gelernt hat, für sich selbst da zu sein. Und auch das Setzen von Grenzen fällt wesentlich leichter, wenn man diese Klarheit über die eigenen Grenzen überhaupt erst mal hat.
Und ich kann aus meiner Erfahrung heraus sagen, dass sich dieser Weg wirklich extrem lohnt!